Bei der letzten Nationalratswahl wäre eine Partei mit dieser Anzahl an Stimmen auf 17,39% Prozent gekommen (5.069.929 gültige Stimmen insgesamt).
Es entspricht ungefähr dem Vierfachen des Wähleranteils der Liste Pilz (223.543). [Quelle: Inneministerium]
Eine Stadt mit so vielen Einwohnern wäre die mit Abstand größte Stadt Österreichs hinter Wien.
Die zweitgrößte Stadt, Graz, kommt auf 287.000 im Stadtgebiet und 629.000 im Großraum. [Quellen: Stadt Graz, Eurostat]
Es wäre auch das fünftgrößte Bundesland Österreichs – noch vor dem Burgenland (292.675), Vorarlberg (391.741), Salzburg (552.579), Kärnten (560.898) und Tirol (751.140). [Quelle: Statistik Austria]
Die Anzahl der Abstimmenden entspricht auch fast dem Sechsfachen aller Angestellten in der Gastronomie (150.196). [Quelle: Wirtschaftskammer]
900.000 ist kein gesetzliches Kriterium für die Behandlung eines Volksbegehrens oder die Weiterführung als verbindliche Volksabstimmung, sondern eine von der türkis-blauen Regierung festgelegte Grenze, die ohnehin erst 2022 gültig werden soll.
2012 forderte die ÖVP – konkret: Sebastian Kurz -, dass ein Volksbegehren, bei dem mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen, zu einer verbindlichen Volksabstimmung führen müsse. Bei der Nationalratswahl 2017 wären das 640.093 Stimmen gewesen. Die FPÖ forderte sogar eine deutlich niedrigere Grenze, nämlich 250.000. [Quellen: Der Standard, Der Standard]
Eigentlich sollte zweifelsfrei erkennbar sein, dass es einiges zu tun gibt. Dass Sexismus und sexistische Übergriffe in unserer Gesellschaft immer noch häufiger vorkommen, als man vielleicht glauben mag. Und dass die öffentliche und teilweise sehr persönliche Thematisierung ein wichtiger Schritt ist. Nicht nur, weil bislang unbehelligte Täter zur Rechenschaft gezogen werden, sondern weil es jenen, die lange geschwiegen haben, erleichtert, auch über ihre Erlebnisse zu reden.
Das hält freilich einige Mitmenschen nicht davon ab, allerlei Unsinn in die Debatte einzubringen. Daher hier eine ungereihte Auflistung dummer Statements nebst Entgegnungen.
Tatsächlich haben auch manche Männer Erlebnisse sexueller Übergriffe beschrieben. Dass die große Mehrheit der Schilderungen allerdings von Frauen kommt, ist keiner Verschwörung gegen die Männer geschuldet. Sie reflektiert lediglich die Aufteilung der Geschlechter bei Täter und Opfern. 2016 wurden beispielsweise 986 Personen in Österreich wegen „Verstößen gegen die sexuelle Integrität“ verurteilt. Davon waren 23 Frauen, also stolze 2,33 Prozent. Sie stellen dafür bei den Opfern die große Mehrheit. Quantitativ ist sexuelle Gewalt gegen Männer also tatsächlich ein marginales Problem. Das bedeutet aber nicht, dass Übergriffe auf Männern deswegen weniger „zählen“ oder verharmlost würden.
Das stimmt nicht. #metoo ist, wenn man so will, eine Awareness-Kampagne, die auf Sexismus und sexistische Übergriffe im Alltag aufmerksam macht. Dort sind eklige Anmachsprüche eben so gut aufgehoben, wie erzwungener Sex. Denn dadurch wird auch sichtbar, dass für viele Betroffene Belästigung und Übergriffe nicht erst bei Grapschen auf intime Körperstellen beginnen. Und dass eine Vergewaltigung natürlich schlimmer ist, als eine schlatzige Aussage über Äußerlichkeiten, weiß ohnehin jeder Mensch, der über einen Funken Empathie verfügt.
Übrigens geht es auch in der Causa Weinstein, die als Auslöser von #metoo gilt, nicht nur um Vergewaltigungen, sondern auch um eine Reihe anderer Vorwürfe abseits physischer Gewalt.
Das ist ein bisschen die Nina-Proll-Argumentationsschiene. Du hast kein Problem, wenn dir beim Fortgehen jemand grindige „Komplimente“ ins Ohr säuselt? Einen Griff auf Po, Busen oder zwischen die Beine wehrst du unbekümmert ab? Good for you. Aber setze das nicht für alle anderen voraus. #metoo thematisiert Dinge, die von Betroffenen als Übergriff empfunden werden, nicht zwingend Dinge, die der Gesetzgeber als strafwürdig festlegt. Es ist vielleicht hilfreich, wenn wir drei Definitionsebenen trennen:
1) Das individuelle Empfinden. Manche fühlen sich bereits durch ein anzügliches Kompliment bedrängt, andere erst bei einem physischen Angriff. Und natürlich muss man nicht jeder persönlichen Definition eines Übergriffs zustimmen. Aber man sollte sie respektieren, auch wenn die eigene Grenze höher liegt. Weil: Empathie.
2) Gesellschaftliche Normen: Hier handelt es sich um mehrheitsfähige, aber nicht zwingend gesetzlich strafbare Formen von Fehlverhalten. Die allermeisten Männer haben heute vom Elternhaus mitbekommen, dass man einer Frau während eines Gesprächs nicht ungeniert in den Ausschnitt gaffen sollte. Wer das trotzdem ständig tut, dürfte früher oder später wohl sozial von vielen Mitmenschen gemieden werden. Auch das ist eine Form von Strafe, auch wenn dabei weder Polizisten noch Richter involviert sind.
3) Gesetze: Bei bestimmten Taten gibt es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass sie nicht nur als „ungebührlich“ eingestuft werden, sondern vom Gesetzgeber bestraft werden sollten.
Eigentlich gar nicht so schwer, oder?
Auch das zweite Proll‘sche Lieblingsargument ist keines. Ein Übergriff setzt per se voraus, dass es Täter und Opfer gibt. Bei Übergriffen sexueller Natur (siehe etwa die Beispielzahl weiter oben) sind die Opfer stark mehrheitlich weiblich und die Täter stark mehrheitlich männlich.
Übergriffe zu thematisieren macht niemandem zu einem Opfer. Im Gegenteil, über selbst Erlebtes zu sprechen bringt ehemalige Opfer in eine aktive, handelnde Position. Mehr (gesetzlicher) Schutz vor Übergriffen macht auch niemandem zu einem Opfer, sondern verhindert im besten Falle, dass noch mehr Menschen zu Opfern werden.
Eben so wenig, wie Frauen durch #metoo zu Opfern werden, werden alle Männer zu Täter. Vorweg einmal die ganz rationale, logische Auflösung: Die Feststellung, dass die Mehrheit der Täter Männer sind erlaubt nicht den Umkehrschluss, dass die Mehrheit der Männer Täter sind. Das geht sich nicht aus, weil – zum Glück – nur ein kleiner Teil der männlichen Bevölkerung sexuelle Übergriffe begeht und nur ein noch kleinerer Teil deswegen je in einer Kriminalstatistik aufscheint.
Statements, in dem ein Generalverdacht gegen alle Männer behauptet wird, sind allerdings auch ein Teil des Problems. Denn es ist einigermaßen erstaunlich zu sehen, dass manche Leute sich lieber wehleidig als Täter verdächtigt sehen, statt über das eigentliche Thema der Debatte zu reden.
In einer perfekten Welt würden alle Opfer von Übergriffen sich wehren oder zumindest unmittelbar zur Anzeige schreiten, der Täter schnell verhaftet und verurteilt werden. Wobei es in einer perfekten Welt ja eigentlich erst gar nicht zu Übergriffen kommen würde. Unsere Welt ist allerdings nicht perfekt und es gibt viele Gründe, warum Betroffene lange Schweigen und – wenn überhaupt – erst mit großem Abstand und im Zuge von Kampagnen wie #metoo über ihre Erlebnisse reden.
Angst vor dem Täter, Scham, Selbstvorwürfe wären hier etwa zu nennen. Ein besonders gewichtiger Umstand, der praktisch bei allen öffentlich breit bekannt gewordenen Fälle eine Rolle gespielt hat, sind Machtverhältnisse. Harvey Weinstein konnte entscheidenden Einfluss auf die Karriere junger Schauspielerinnen nehmen, Reinhard Göweil soll einer externen Redakteurin eine Stelle gegen Gefälligkeiten angeboten haben, Peter Pilz wird unter anderem von einer ehemaligen Mitarbeiterin beschuldigt und beim Skiverband geht es um Betreuer, die ihre Funktion gegenüber ihren Schützlingen missbraucht haben sollen.
Überall, wo Hierarchien im Spiel sind, ist der Schritt zu den Behörden oder an die Öffentlichkeit für die Opfer riskanter. Man bringt die eigene berufliche Existenz in Gefahr und muss jemanden beschuldigen, der möglicherweise seinerseits mächtige Freunde oder ein gutes öffentliches Standing hat. Vorwürfe eines Racheaktes oder des Versuchs, sich selbst profilieren oder beruflich aufsteigen zu wollen, lassen selten lange auf sich warten.
Dabei, so lässt sich in einem Artikel der Welt aus 2011 nachlesen, unterscheiden sich etwa Vergewaltigungen hier gar nicht von anderen Straftaten. Die Quote an falschen Beschuldigungen liegt in den USA mit zwei bis vier Prozent auf dem Level anderer Vergehen.
Ich dachte ja wirklich, bei der „Im Zentrum“-Diskussion zu #metoo bereits den größtmöglichen Blödsinn zum Thema gehört zu haben. Bis sich die einstige Weltcup-Skifahrerin Annemarie Moser-Pröll in den Nachrichten von Servus TV dazu äußerte. Es würden sich auch Liebespaare im Skitraining finden, erklärte sie. Etwa „eine Marlies Schild oder ein Benni Raich. Die sind ja auch nicht vergewaltigt worden. Da gehören immer zwei dazu.“
Tatsächlich gehören zu einer Vergewaltigung mindestens zwei dazu. Nämlich Täter und Opfer. Wer Freiwilligkeit andeutet, macht das Opfer zum Mittäter gegen sich selbst. Und das ist schlicht strunzdumm und empathielos.
Nachtrag: Annemarie Moser-Pröll bezichtigt mittlerweile Servus TV, ihre Aussage aus dem Zusammenhang gerissen zu haben. Der Sender weist dies zurück und hat die ungekürzte Fassung des Interviews ins Netz gestellt. Einen Bericht hierzu gibt es bei Vice.
]]>Zeit, sich mit den Gründen (und Nichtgründen) für das Debakel auseinander zu setzen. Bekanntlich ist man nachher immer klüger.
Diese Analyse basiert zu einem guten Teil auf persönlichen Einschätzungen im Rahmen des politischen Geschehens der vergangenen Monate. Berücksichtigt ist neben dem Wahlergebnis auch die vom ORF publizierte Wählerstromanalyse, die ungefähr darüber Auskunft gibt, wie viele Menschen im Vergleich zum Urnengang 2013 von einer Partei zur anderen gewechselt sind.
Über Wochen füllte der innerparteiliche Konflikt zwischen den Jungen Grünen, der grünen Studentenfraktion GRAS und der Bundespartei die Medien. Erstere wollten gegen zweitere bei den ÖH-Wahlen antreten und kritisierten zudem die Bundespartei für ihren Umgang. Ob diese Kritik berechtigt war, kann ich als Außenstehender nicht beurteilen. Medial war der Ablauf der Affäre aber gelinde gesagt „patschert“. Nicht verübeln kann ich der Partei allerdings, dass sie es nicht zulässt, dass eine Vorfeldorganisation der anderen aus heiterem Himmel Konkurrenz machen wollte.
Während sich die Affäre deutlich auf das Ergebnis der GRAS in der ÖH-Wahl ausgewirkt haben dürfte, denke ich nicht, dass es einen relevanten Effekt auf die Nationalratswahl hatte. Die Jungen Grünen und ihr neuer Partner KPÖ waren in den Medien seit Sommer kaum relevant. Die organisatorische Schlagkraft, die man sich nach Eigeneinschätzung anhand der Kampagne für Alexander van der Bellen in der letzten Präsidentschaftswahl selbst zuschrieb, dürfte ebenfalls überschaubar sein. Die KPÖ stürzte von 1,1 auf 0,8 Prozent ab.
Verdächtig knapp nach dieser Auseinandersetzung schmiss schließlich Parteichefin Eva Glawischnig hin. Sie erwischte ihre Partei etwas auf dem falschen Fuß. Die auf mich zuerst spannend wirkende Idee, eine Doppelspitze mit Ulrike Lunacek als Spitzenkandidatin und Ingrid Felipe als Bundessprecherin zu installieren, erwies sich nachträglich als schlecht.
Das liegt weniger an der Auswahl der Personen, sondern eher daran, dass in einem sehr personenbezogenen Wahlkampf eine Aufteilung auf zwei Köpfe eher suboptimal ist. Erst recht, wenn eine dieser Personen gar kein Nationalratsmandat anstrebt, sondern die Partei von Tirol aus leitet.
Auch Urgestein und Aufdecker Peter Pilz stellte sich schließlich für die Erstellung der Bundesliste den internen Wahlen – und verlor die Abstimmung um Platz 4 knapp gegen Nachwuchshoffnung Julian Schmid. Einen Antritt für Platz 6 (den er wohl gewonnen hätte) und Vorzugsstimmenwahlkampf verweigerte. Nachdem er vor der Abstimmung noch erklärt hatte, das Ergebnis demütig anzunehmen, gründete er schließlich eine eigene Liste. In seinem Buch soll es Indizien dafür geben, dass dieser Schritt aber möglicherweise schon länger geplant war.
Dass der mediale Spin – im Blätterwald hieß es, die Grünen hätten Pilz „rausgekickt“ – an der Wahrheit vorbeiging, war nur ein Faktor dieser Affäre, die gemäß Wählerstromanalyse wohl einer der Hauptgründe für das Grüne Armaggeddon war. Dass Pilz in jedem Fall ein paar Wähler mitnehmen würde – jene, die sich etwa mehr Betonung des Kampfes gegen den „politischen Islam“ wünschten – war ohnehin klar. Dass es gleich 67.000 werden würden allerdings nicht.
Die Partei hat es ihm aber denkbar leicht und sich selbst denkbar schwer gemacht. Denn statt sich wieder mehr auf die eigene Themensetzung zu konzentrieren, wurde scharf gegen den „Abkömmling“ geschossen. Dass man angesichts dieses Abgangs nach 31 gemeinsamen Jahren nicht begeistert, ja sogar in manchen Fällen sogar persönlich gekränkt war, mag verständlich sein. So half man Pilz (dessen Einzug in den Nationalrat ich prinzipiell begrüße) aber noch dabei, sein Image als „Grünrebell“ zu festigen und noch mehr mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, während man sich selbst nicht gerade ins beste Licht rückte.
Es ist der SPÖ nach dem Wien-Wahlkampf wieder einmal gelungen, einen Zweikampf mit der FPÖ zu inszenieren, diesmal um den zweiten Platz. Dies dürfte heuer allerdings nicht ganz absichtlich geschehen sein. In den Umfragen lag man zwar schon länger auf dem Niveau der Freiheitlichen, teilweise sogar darunter, mit der Silberstein-Affäre dürfte hier aber der Damm gebrochen sein. Dass nach links tendierende Wähler Christian Kern gerne als SPÖ-Chef halten wollen, ist nicht überraschend. Dafür wird aber auch gerne übersehen, dass sich in der gleichen Partei auch Personen wie Hans Niessl oder Hans-Peter Doskozil tummeln, die fleißig die Fühler nach rechts ausstrecken.
Obwohl die Umfragewerte der Grünen teilweise die Vier-Prozent-Marke erreichten, wurde die Gefahr des Ausscheidens aus dem Nationalrat offenbar unterschätzt. Auch ich bin zwar von starken Verlusten, aber nicht einem solchen Absturz ausgegangen. Dass mehr als zweieinhalb Mal so viele Stimmen von den Grünen an die SPÖ flossen (167.000), als zu Pilz, ist aber den Sozialdemokraten nicht anzukreiden.
Ein klein wenig darf man zwar jene Wähler schimpfen, die ausschließlich für die Absicherung des wahlarithmetisch bedeutungslosen zweiten Platzes für die „Roten“ ihre Stimme diesmal nicht den Grünen gegeben haben. Es wäre jedoch an den Grünen selber gelegen, offensiv vor dem Worst Case für sich selbst zu warnen und klar zu machen, dass man eine wichtige, linke Stimme im Parlament ist. Auch weil die SPÖ eben nicht nur aus Kern und dessen Zukunft, so wie auch die künftige Ausrichtung der Partei, weiter offen ist.
Dass das nicht passiert ist, ist auch symptomatisch für die offizielle Kommunikationsstrategie. Mit „Wir machen nicht Blau – das ist Grün“ oder „Im Kern ist Kurz ein Strache“ erklärt man den Wählern Standpunkte, die sie längst kennen. Dass man im anbrechenden Wahlkampf in Wien für wiederverwendbare Kaffeetassen und in Oberösterreich gegen Heftumschläge aus Plastik kampagnisierte, zeugt nicht von Feingefühl für Themen, die gerade viele Menschen bewegen. Gerade im Hinblick auf den Wählerabfluss an die SPÖ hätte man hier viel stärker auch soziale Belange bespielen können, oder gar müssen.
Ja, das Umfeld war für die Grünen schwer. Der Medienrummel rund um Kern, Kurz und Strache erschwerte es natürlich den kleineren Listen, selber Themen zu setzen und präsent zu bleiben. Und die Abspaltung von Peter Pilz erhielt einen denkbar ungünstigen und faktisch falschen Spin in den Medien. Ein Stimmenrückgang wäre wohl in keinem Fall vermeidbar gewesen. Das Debakel in dieser Form war allerdings war großteils hausgemacht.
Mit einem für den Wahlkampf ungeeigneten Doppelspitzen-Modell, denkbar unnötiger Kommunikation nach der Causa Pilz, einer fahrigen Wahlkampagne und der Unfähigkeit, die eigene Relevanz neben der SPÖ herauszustreichen hat man sich selbst vom Regen in die Traufe katapultiert. Man darf hoffen, dass das Musterbeispiel einer politischen Pleiten-, Pech- und Pannenshow zumindest genug Anschauungsmaterial bietet, um es beim nächsten Antritt wieder besser zu machen.
Foto: _Gaspard_/Flickr (CC-BY 2.0)
]]>Aber egal: Wer seine Wahlkarte erst noch ausfüllen muss oder am 15. Oktober sein Kreuzerl in der Wahlkabine setzt, möchte es vielleicht taktisch angehen. Daher hier ein Guide für alle Wähler, die sich selbst dem gesellschaftspolitisch liberalen Spektrum zuordnen. Darunter verstehe ich hier nach meinem Dafürhalten vernünftige Einstellungen – also das Begreifen einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft als Chance, Solidarität gegenüber Mitmenschen in schwierigen Lebensumständen und die sonstige Litanei, die in rechten Kreisen gerne als „Gutmenschentum“ oder „links“ subsummiert wird.
Also, hier ein How-to-Guide: Wie wählt man heuer taktisch vernünftig?
Dazu gilt es zuerst die Frage zu beantworten, was denn überhaupt damit bezweckt werden soll. Das lässt sich einfach sagen: Entweder eine Regierungsmehrheit links der Mitte oder zumindest eine starke Opposition gegen eine rechte Regierung.
Taktisch wählen bedeutet auch, dass man nicht unbedingt die Partei ankreuzt, die einem inhaltlich am allernächsten steht. Das gilt insbesondere für jene Gruppierungen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an der Vier-Prozent-Hürde scheitern werden. Heißt: zum Beispiel KPÖ Plus zu wählen (um die relevanteste dieser Kleinparteien zu nennen) ist nicht sinnvoll. Denn Stimmen für Parteien, die es nicht ins Parlament schaffen, stärken proportional die bei der Wahl stärksten Fraktionen. Das wären also sehr wahrscheinlich ÖVP, FPÖ und die SPÖ.
Wer eine „linke“ Regierung oder starke Opposition will, braucht natürlich gar nicht erst an eine Stimme für FPÖ oder ÖVP zu denken, ist aber auch bei der SPÖ schlecht aufgehoben. Hier mag man einwerfen, dass man ja eine stimmenstarke Fraktion möchte, um vor allem der FPÖ etwas entgegen zu setzen. Das ist allerdings Blödsinn.
Es ist es mathematisch ziemlich egal, ob man nun SPÖ, Grüne, Neos oder Liste Pilz wählt. Die stimmenstärkste Partei (die die SPÖ ziemlich sicher nicht wird) erhält zwar normalerweise zuerst den Regierungsbildungsauftrag, letztlich muss aber eine Mehrheit geschaffen werden. Das geht – wir erinnern uns an Schwarz-Blau im Jahr 2000 – auch ohne dem eigentlichen Wahlsieger. Und dafür wäre es grundsätzlich auch sinnvoll, wenn alle gesellschaftsliberal ausgerichteten Parteien, die in den Umfragen nahe der Vierprozent-Hürde liegen, den Einzug schaffen. Dass Grüne, Pilz und Neos jeweils wenigstens 4,0 Prozent schaffen, ist wichtiger als drei Prozent mehr oder weniger bei der SPÖ.
Außerdem ist eine Stimme für die SPÖ längst keine Stimme für „linke“ Politik mehr. Die Partei fährt spätestens seit der Faymann-Ära einen ideologischen Schlenkerkurs und blinkt ständig in beide Richtungen. Für jede gut klingende Ansage von Kanzler Kern findet man angstmachendes Sicherheitsgetrommel von Doskozil.
Der Richtungsstreit und damit die künftige Orientierung der SPÖ könnte sich aber bald entscheiden – allerdings nicht aufgrund der Wahl, sondern infolge der anstehenden Nachfolgeregelung für Michael Häupl in Wien. Schneidet die SPÖ am kommenden Sonntag besser ab, als erwartet, kann praktisch jeder beliebige Proponent der Partei den Erfolg für sich reklamieren. Wenn man keine eindeutige Haltung hat, ist es schwer, zuzuordnen, für welche Aussagen und Handlungen man nun belohnt oder bestraft wird.
Die SPÖ mag zwar (mangels Alternativen) der einzige logische „Senior Partner“ für eine „linke“ Regierungskonstellation sein, gleichzeitig ist aber Rot-Blau auch nicht auszuschließen, so es sich rechnerisch ausgeht. Im Burgenland existiert diese Variante bekanntlich schon. Sie ist viel mehr als eine reine Drohkulisse, um eventuell gegenüber der ÖVP mehr Verhandlungsspielraum zu haben, sollte der unwahrscheinliche Fall von Koalitionsverhandlungen mit der Volkspartei eintreten.
Womit taktischen Wählern das Trio Grüne, Pilz und Neos zur Auswahl bleibt. Die einen setzen auf einen stärkeren Fokus auf Klimapolitik und europäische Zusammenarbeit, die zweiten arbeiten sich an Korruptionsbekämpfung und Sicherheitspolitik ab und die dritten bieten neben modernen gesellschaftspolitischen Standpunkten eben auch eine ausgeprägt liberale Wirtschaftsagenda.
Es gibt also eine Auswahl für beinahe jeden Geschmack. Und damit auch keine Ausrede, daheim zu bleiben oder „weiß“ zu wählen.
Ein PS im Sinne der Transparenz: Ich habe bereits per Wahlkarte gewählt – zu sehen im Beitragsbild – und mein „X“ bei den Grünen gemacht.
PPS: Kollege Tom war vor vier Jahren übrigens gegen taktisches Wählen. Warum, lest ihr hier.
]]>Dabei darf ich meinen Ärger inhaltlicher und kommunikativer Natur sogar halbwegs gerecht verteilen. Hier eine ungereihte Liste jener Dinge, die meinen genetisch bedingten Haarschwund dramatisch ankurbeln:
Wir wählen im Oktober. Zu diesem Beschluss sind SPÖ und ÖVP im vergangenen Mai gekommen. Warum das letztlich so lange gedauert hat und die Öffentlichkeit monatelange Streitberichterstattung ertragen musste – ich weiß es nicht. Zumindest für die SPÖ war die Entscheidung eher ein Schuss ins Knie, denn der Kern-Effekt ist mehr als ein Jahr nach seinem Antritt als Bundeskanzler und SPÖ-Chef ziemlich verpufft. Die ÖVP hat derweil, wie längst erwartet, Sebastian Kurz an der Spitze installiert und scheint damit laut Umfragen deutlich erfolgreicher zu sein.
„Basti“ Kurz wäre dann auch schon das nächste Thema. Wäre er über Wasser gegangen, hätte einen Blinden sehend gemacht oder meinetwegen Wasser in Wein verwandelt, könnte ich den Hype der selbsternannten christlichsozialen Partei ja aus der religiösen Perspektive nachvollziehen. Hat er aber nicht. Eigentlich hat er seit seinem Antritt in der Regierung gar nicht viel gemacht, außer zuerst an der Grenzöffnung für die Flüchtlinge mitzuwirken, dann später zu behaupten, er hätte die Balkanroute geschlossen (es gibt einige Indizien dafür, dass das schlicht nicht stimmt) und seine Einstellung von „Wir brauchen mehr Willkommenskultur“ auf FPÖ-Linie zu adaptieren.
Das Wahlprogramm der „Neuen ÖVP“ bietet nichts, was die „alte ÖVP“ nicht auch geboten hätte und viel Inhalt wird in Interviews auch nicht geliefert. Der Kurz-Hype erinnert mich frappant an den Ex-Finanzminister Grasser. Nicht wegen dessen juristischen Nachwehen, sondern weil Österreich offenbar wieder einen „Schwiegersohn der Nation“ gefunden hat. Gut gekleidet sein und Sätze in adretten Deutsch formulieren zu können ist mir persönlich ja zu wenig Qualifikation für ein mächtiges Amt, wie jenes des Bundeskanzlers. Und hab ich schon erwähnt? Ich mag keine Opportunisten.
Man könnte behaupten, Frühling und Frühsommer waren für die Grünen ein wenig turbulent. Man kann weiters behaupten, die Austragung des Konflikts mit den Jungen Grünen war von beiden Seiten nicht sonderlich optimal. Noch anstrengender war allerdings die mediale Berichterstattung. Die (Disclaimer: mir politisch am nächsten stehenden) Grünen, die in ihrer rund 30-jährigen Parlamentsgeschichte jetzt erstmals Abspaltungen erlebt haben, werden als totale Chaostruppe dargestellt, obwohl SPÖ und ÖVP in den vergangenen Jahren deutlich mehr Parteivorsitzende verschlissen haben. Bei den Konservativen gilt „Hau den Chef“ mutmaßlich als eine Art innerparteilicher Volkssport. Die FPÖ kann auf das BZÖ zurückblicken und darf sich momentan mit der Liste Schnell ärgern.
Während die JG sich also der KPÖ an den Hals geworfen hat und mitsamt dieser auch heuer wieder im Nirvana unterhalb der Vierprozent-Hürde versinken wird (ernsthaft, diese Partei hat bis heute nicht die wahltaktische Räson aufgebracht, sich umzubenennen), mobilisiert auf der anderen Seite Peter Pilz für seine Liste. Auch er hat eine kleine Hype-Blase rund um sein Projekt erzeugen können, allerdings aus den falschen Gründen. Weniger geht es um seine Rolle als verdienter Aufdecker und Korruptionsbekämpfer, sondern plötzlich darum, dass er ja so „frischen Wind“ in die Politik bringen würde. Peter Pilz ist 31 Jahre als Abgeordneter im Parlament gesessen. Frischer Wind? Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?
Während ich die Schuld an der Zersplitterung nicht hauptsächlich bei den Grünen selbst sehe, erbarmen sich aber auch diese nicht, mir den Wahlkampf erträglicher zu machen. Man könnte über Flüchtlinge und deren Zukunft in Österreich und Europa reden, über Sozialpolitik, Jobchancen durch die Energiewende etc. pp. Stattdessen gibt’s Wadlbeisserei in Richtung Pilz und die oberösterreichische Landespartei pusht auf Facebook Kampagnen gegen Plastikumschläge für Schulhefte. In Wien wird nach der Herumeierei über das Heumarktprojekt zuerst über Kaffeebecher diskutiert, ehe man Wahlkampfbudget damit verschleudert, ein fettes Dauerplakat mit dem Slogan „Im Kern ist Kurz ein Strache“ anzubringen. Ach, du heiliges Wortspiel, Batman!
Erde an siebter Bezirk: Liebe Grüne, eure Kernwählerschaft weiß, dass ihr den Rechtsruck von SPÖ und ÖVP und die FPÖ sowieso (meiner Meinung nach mit Recht) verurteilt. Die Kernwählerschaft braucht aber keine Überzeugung mehr, sondern diejenigen abseits der sechs Umfrageprozent, die vielleicht mit Kern, den Neos oder Peter Pilz liebäugeln. In einem Wahlkampf, der medial zu einem „Kern vs. Kurz“ zu werden droht, könnte man es ja mit aktueller Themensetzung oder Personenwahlkampf für die Spitzenkandidatin versuchen, statt bekannte Parolen aufzuwärmen.
Und der Rest? Nun ja, den Neos und der FPÖ muss ich fast (!) schon Fortschritte bescheinigen. Das liegt unter anderem daran, dass ich von beiden Parteien erstaunlich wenig mitbekomme. Da Matthias Strolz‘ Redestil neben chinesischem Live-Fußballkommentar für mich zu den akustisch unerträglichsten Dingen zählt, kann ich damit gut leben.
Das blaue Pendant zur XXXLutz-Familie, genannt „die Hubers“ ist zumindest nicht brachial fremdenfeindlich, sondern „nur“ erwartbar xenophob. Und das Beste: Man kann das Video auf Youtube nach ein paar Sekunden wegklicken. Halleluja.
Foto: César Astudillo / Flickr / CC BY NC 2.0
]]>Wenn US-Präsident Donald Trump am Donnerstag seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping in seinem Luxusressort Mar-a-Lago empfängt, sind die Gesprächsthemen nicht rar. Neben der allgemeinen Wichtigkeit der bilateralen Beziehungen – die USA haben immerhin die NATO dazu gebracht, einen Gipfel zu verlegen, um sich voll auf den Besuch konzentrieren zu können – der zwei größten Volkswirtschaften der Welt, hat die aktuelle US-Regierung in den vergangenen Monaten genug dafür getan, um für Spannung zu sorgen.
Trump begann seine Amtszeit etwa mit einem Telefonat mit Taiwan, im Widerspruch zur Ein-China-Politik, die aus Sicht der Volksrepublik unverhandelbar ist. Das erzürnte die Chinesen, die später auch die unfreundliche Geste erdulden mussten, dass Trump ihre Neujahrsfeiern ohne Glückwünsche vorbeiziehen ließ.
Es gibt aber auch substantiellere Konflikte. Die USA erhöhten jüngst den Druck auf China im Konflikt um das nordkoreanische Atomprogramm. Wenn die Chinesen ihren Verbündeten nicht zum Einlenken bringen, könnte man auch unilateral etwas dagegen tun, sagte Trump. „China wird uns entweder mit Nordkorea helfen oder nicht. Wenn sie es tun, ist das sehr gut für China, wenn nicht, ist es für niemanden gut“, sagte Trump.
Die USA und China waren wirtschaftlich noch nie so verwoben wie heute. Eine Studie zählte kürzlich beispielsweise 6677 US-Investments in China und umgekehrt 1200 chinesische Investments in den USA. Die Volumina dieser Verquickung wurden auf 228 bzw 64 Milliarden Dollar geschätzt.
Der Wirtschaftsberater des Präsidenten Peter Navarro ist seit langem Kritiker von China. Handelsdefizite stören den Wirtschaftsberater, der offenbar großen Einfluss auf Trumps Denken ausübt. Navarro ist Autor von Büchern mit klingenden Titeln wie „Death by China“ („Tod durch China“), oder „The Coming China Wars“ (Die kommenden China-Kriege).
Trump teilte im Wahlkampf oft genug gegen China aus, das sein Land wirtschaftlich „vergewaltige“. Er polterte auch in den vergangenen Wochen und nach der offiziellen Ankündigung von Xis Besuch noch wegen vorgeblich durch China verursachte US-amerikanischen Jobverluste und spricht immer wieder von neuen Tarifen von bis zu 45 Prozent für chinesische Importe. Das Wort Handelskrieg geistert durch Analysen.
Übrigens auch umgekehrt in China, denn das Land will bei der WTO 15 Jahre nach ihrem Eintritt als Marktwirtschaft anerkannt werden. Diese Anerkennung aber verweigern die USA (schon unter Barack Obama) und die EU. Die Haltung ist sachlich nicht schwer zu begründen, aber ärgert die Volksrepublik trotzdem. Das US-Handelsministerium kündigte erst vor wenigen Tagen eine Prüfung des Status an. Eine aus chinesischer Sicht positive Beurteilung scheint unwahrscheinlich.
Verfehlte Handelspolitik oder gar ein Handelskrieg zwischen den USA und China könnte die gesamte Weltwirtschaft massiv schädigen. Und Trumps ignorante Haltung zum menschengemachten Klimawandel (eine antiamerikanische Erfindung der Chinesen, wenn man seinen erratischen Tweets Glauben schenken mag) den 2015 für bahnbrechend gehaltenen Paris-Deal – der wesentlich auf erfolgreicher Diplomatie zwischen China und den USA beruhte – die Welt im Kampf dagegen weit zurückwerfen.
The concept of global warming was created by and for the Chinese in order to make U.S. manufacturing non-competitive.
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 6. November 2012
Das wesentlich schrecklichere Gespenst spukt aber in Form eines Krieges durch so manchen Kopf. Zum Beispiel jenen von Trumps Chefstrategen und rechtsradikalen Ideologen Stephen Bannon (der just vor dem Meeting von seinem umstrittenen Posten aus dem National Security Council genommen wurde, man wird aber erst sehen, ob das seinen Einfluss tatsächlich schmälert): Bannon gilt als wichtigster Berater des Präsidenten und war noch vor weniger als einem Jahr davon überzeugt, dass es in den kommenden fünf bis zehn Jahren zu einem Krieg zwischen den USA und China kommen wird.
Auslöser wäre seiner Ansicht nach der Konflikt über Chinas Ansprüche auf das Südchinesische Meer – durch das einige der wichtigsten Handelsrouten der Welt laufen. Wechselseitig rasseln die betroffenen Parteien mit ihren Säbeln, kündigen Patrouillen und Manöver an. China setzt auch beständige Taten: Es legt künstliche Inseln in der Region an, auf der es militärisches Gerät stationiert.
Eine militärische Konfrontation mag irrwitzig klingen und nicht von größter Wahrscheinlichkeit sein. Das ist jedoch nicht der einzige Konfliktherd zwischen den beiden Großmächten, der bei schlechtem Handling eskalieren könnte. Die USA könnten immerhin auch über Verbündete wie Japan und Südkorea in einen solchen hineingezogen werden, für die regionale Gebietsansprüche wesentlich größere Bedeutung haben, als für die Vereinigten Staaten. Eine Gefahr ist auch der stets mögliche Zusammebruch des Regimes in Nordkorea und das Vakuum oder der Konflikt danach. Trump versicherte 2015 im Wall Street Journal: „Wir werden das Militär aufbauen, das wir brauchen, um China einzudämmen, wo es im pazifischen Raum und im Südchinesischen Meer zu weit geht.“
Auch um Eskalationen wegen unbedachter Handlungen zu verhindern, hat die staatsnahe US-Denkfabrik RAND vor einigen Monaten Szenarien analysiert, wie eine solche Konfrontation entstehen und ablaufen könnte. China war über die in Sicherheitskreisen relativ vielbeachtete Studie offenbar keineswegs erfreut, vor allem nicht über ihre Veröffentlichung. Kolumnisten in staatlichen Medien reagierten mit kampfbereiten Texten. Die Studie befindet, China könne zur Zeit einen konventionellen Krieg mit den USA nicht gewinnen. Eine Konfrontation wäre aber schon in zehn Jahren viel schwieriger, weil China in seine Rüstung und Verteidigung investiert. Er wäre aber schon heute ein Desaster für beide Seiten (und die Welt).
Das Fazit der Studie: Ein Krieg scheint aus aktueller Sicht in Friedenszeiten wahnwitzig, wäre aber am Ende einer Reihe an schlechten aber durchaus erklärbaren Entscheidungen möglich. RANDs Studien-Autor David Gompert (mein Interview mit ihm erscheint morgen Abend auf Kurier.at, Link folgt) sieht gerade im Missmanagement von Krisen eine Gefahr, dass das „Undenkbare“ doch wahr werden könnte. Eine Sorge, die er gerade im Bezug auf die aktuelle Regierung äußert.
Die bisher diletantisch vorgetragene Politik der Trump-Amtszeit im Allgemeinen aber auch die Vorbereitungen auf den aktuellen Gipfel tun wohl wenig, um diese Sorge zu entkräften. Geleitet werden sie auf US-Seite nicht vom Außenministerium, sondern von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner. Der 36-Jährige hat in seinem Lebenslauf nichts stehen, was ihn speziell als China-Experten ausweisen würde – außer vielleicht, dass seine Familie gerade New Yorker Immobilien an chinesische Investoren verkauft hat.
China setzt in seinen diplomatischen Bemühungen auf gute Kontakte zu Trumps Familie. Ansonsten wartet man erst einmal ab, welche Taten Trump seiner Rhetorik folgen lässt. Auf viele seiner Provokationen reagiert man nicht. Das Treffen im Luxusressort zwischen Golfplätzen ist hastig aufgezogen. Noch nie hat sich ein US-Präsident mit dem chinesischen so früh in seiner Amtszeit getroffen. Das lockere Erscheinungsbild könnte aber zumindest helfen, die Stimmung angesichts der vielen Konfliktfelder beim Besuch von Xi aufzuhellen.
Es hält auch die Erwartungen an bedeutsame Ergebnisse des Treffens niedrig, weil diese unwahrscheinlich sind. Dass eine große Ankündigung etwas Gutes bedeuten würde, ist aber vielleicht noch unwahrscheinlicher.
]]>Wer in den letzten Tagen die Nachrichten verfolgt hat, dem wird der Eindruck vermittelt: Da wird so wirr links, rechts, vorne und hinten jeder vor den Kopf gestoßen, dass es für Trump schon ein Erfolg wäre, überhaupt die vier Jahre durchzuhalten – geschweige denn, 2020 wiedergewählt zu werden. Well, nochmal schlechte Nachrichten: Trump, Pence, Bannon, Conway, Priebus und Co. wissen sehr genau, was sie tun. Und in ihrem Sinne machen sie alles richtig und sie marschieren mit Vollgas zur Wiederwahl.
Jeder internationale Aufschrei, jeder Protestmarsch, ja sogar jedes Gerichtsurteil gegen die Trump-Dekrete, jeder Schauspieler bei einer Award-Gala, auch jede opponierende Wortmeldung von Demokraten und auch von Republikanern ist richtig und wichtig. All das ist aber auch genau, was die Trump-Regierung braucht, wovon sie lebt, womit sie ihr Narrativ bestätigen kann: „Schaut her: All die Eliten im In- und Ausland, das Establishment, die Stars und die Städter, sogar die Juristen – sie tun weiterhin alles, um meine Politik und damit euren Willen zu verhindern.“
Der komplette Einreise-Stopp für Menschen aus Iran, Irak, Sudan, Jemen, Libyen, Somalia und Syrien wird nicht einen einzigen Anschlag verhindern (eher im Gegenteil). Trump und Bannon wissen das natürlich. Aber um Terrorismus ging es auch nie. Es ging darum, seinen Wählern zu zeigen: Wir tun, was wir gesagt haben, und wir tun es schnell. Dann noch schnell ein paar muslimische Länder suchen, die für die wirtschaftlichen und politischen Interessen der USA weitgehend irrelevant sind – und voilà.
Dass die Liste im konterterroristischen Sinn in höchstem Maße unlogisch ist – der schiitische Iran, der ein großes Interesse an der Schwächung des sunnitischen IS hat, ist etwa vertreten; Saudi-Arabien als streng-islamisches Nest aller möglichen extremistischen Splittergruppen aber nicht – ist völlig irrelevant. Genauso, dass die illegale Einwanderung aus Mexiko so niedrig ist wie seit der Nixon-Zeit nicht mehr und die Drogen alle über reguläre Grenzen in die USA geschmuggelt werden. Trump sagte, es würde eine Mauer geben, und die gibt es auch. I said, I delivered. Period.
Und man wird die Uhr danach stellen können: Demnächst werden die Wählerrechte dran sein (Stichwort „Voter Fraud“), das Aufkündigen des Nuklear-Deals mit dem Iran wird ebenso eingeleitet wie das Ende von TTIP, TPP und NAFTA. Und in dem Moment, in dem Trump doch irgendwann sein altes Samsung Galaxy S3 hergibt, wäre ich mir als Hillary Clinton auch nicht mehr so sicher, dass er mir nicht doch noch Ermittler an die Fersen setzt.
Nichts von seinen Vorhaben muss zwingend voll durchgezogen werden. Einiges wird von den Gerichten kassiert werden (wobei, nicht vergessen, bald kommt ein neuer Höchstrichter, der den Supreme Court merklich in Trumps Richtung verschieben wird), manches wird nicht durch den Kongress kommen, manches wird auch einschlafen. Aber alleine das Tempo, das Trump gleich zu Beginn vorlegt, wird seine Kernwählerschaft in ihrer Wahl für Trump bestätigen: „Endlich mal einer, der wirklich anpackt, was er verspricht“ – kein mühsames Ringen um Kompromisse und um jeden Punkt und Beistrich, sondern gleich in die Vollen.
Natürlich wird die Zahl an Touristen, die die USA aus Protest gegen die Trump-Regierung während seiner Amtszeit boykottieren, steigen. Aber das wird in erster Linie die Bundesstaaten New York und Kalifornien betreffen – also tief-demokratische Staaten. Und dem Farmer aus Nebraska ist es bestenfalls völlig egal, wenn den Städtern von den Küsten, von denen er sich als bedauernswerter Hinterwäldler verspottet sieht, die Einnahmen wegbrechen. Im Gegenteil, er wird es nur als fair betrachten.
Für den Kumpel aus den Kohleregionen in West Virginia, der in x-ter Generation im Bergbau beschäftigt ist, bedeuten Maßnahmen zum Klimaschutz und in Richtung erneuerbarer Energien existenzbedrohende Anschläge auf seine Lebensgrundlage. Die ehemaligen Arbeiter aus den GM-Werken in Michigan vegetieren seit der Abwanderung der Produktion nach Mexiko nicht nur arbeitslos und vergessen vor sich hin, sie müssen auch noch verbleites Wasser trinken und von der Obama-Regierung kamen maximal Lippenbekenntnisse. Und so weiter.
Andererseits spekuliert Trump darauf, dass sich die großen Konzerne mit vielen Job in der Manufaktur – exemplarisch sei hier die Auto-Industrie genannt – im Zweifel lieber doch mit Werken in den USA niederlassen. Um zwar teurer zu produzieren, aber nicht zu riskieren, wegen Einfuhrzöllen und schlechtem Image im gigantisch wichtigen US-Markt marginalisiert zu werden. Ein Anstieg der Jobs im Niedriglohn-Segment ist alles andere als eine Illusion. Genau das war ja eine der Kern-Wahlmotive für Trump.
Proteste wie der Women’s March oder die spontanen Demonstrationen etwa am New Yorker Flughafen JFK sind ein Zeichen, dass sich viele Menschen in den Staaten nicht jeden Blödsinn gefallen lassen und es ist davon auszugehen, dass die Protestbereitschaft nicht abnimmt. Die Präsidentschaft von Donald Trump wird für die Nachwelt untrennbar mit einer großen Widerstands-Bewegung verbunden bleiben.
Es darf sich aber niemand der Illusion hingeben, dass diese Proteste jene beeindrucken, die Trump gewählt haben. In Österreich hat man mit „Bahnhofsklatscher“ schon eine bemerkenswert abwertende Wortkreation geschaffen, in den USA wird es wohl bald auch noch schärfere Begriffe als den „Libtard“, also den weltfremden, zurückgebliebenen Liberalen, geben. Auch sie werden dem Schicksal, dass ihr Altruismus vom politischen Gegner als Volksverrat ausgelegt wird, nicht entfliehen können.
Die Republikaner in Haus und Senat werden sich nicht viel Widerstand gegen Trump leisten, weil sie wissen, dass sie zu einem großen Teil nur wegen Trump ihre aktuelle Machtposition innehaben. Umso mehr sind die Demokraten gefragt. Die sind aber immer noch fleißig dabei, sich selbst zu finden und sich dabei bemerkenswerte Löcher in ihre Knie zu ballern.
So wie Cory Booker, der sich zwar einerseits als neuer Obama und als Vertreter eines guten amerikanischen Gewissens positioniert, aber andererseits im Senat gegen Bernie Sanders’ Maßnahmen-Paket zur drastischen Verbilligung von Medikamenten stimmte – und gleichzeitig einer der größten Empfänger von Sponsor-Geldern aus der Pharma-Industrie ist. Sogar Ted Cruz (!) und John McCain haben für die Vorlage von Sanders gestimmt. Was nichts brachte, weil neben Booker noch zwölf andere Demokraten dagegen stimmten. Kirsten Gilliband stimmte als einzige Senatorin gegen sämtliche Kabinetts-Vorschläge des Trump-Teams, ihr Image als „Hillary in jung“ wird aber dadurch bekräftigt, dass sie die Konzern-Spender von Clinton quasi eins zu eins auf sich lenkt.
Weiterhin ist es auch Bernie Sanders, der gemeinsam mit Elizabeth Warren die „Establishment Democrats“ vor sich hertreibt, der als Themensetzer fungiert und auch nach dem Ende seiner Präsidentschafts-Kampagne nichts von seiner Feel-The-Bern-Energie eingebüßt hat.
Was also wie ein ignorantes Irrlichtern aussieht – und von so gut wie allen nennenswerten etablierten Medienhäusern mit Fassungslosigkeit quittiert wird – ist in Wahrheit ein extrem kalkuliertes Vorgehen, um den Rückhalt in der eigenen Wählerschaft zu stärken. Trump und Bannon sind absolute Medien-Profis und wissen genau, wie sie Happen in die Öffentlichkeit zu werfen haben, damit sich die Kunden von MSNBC, New York Times und Washington Post voller Inbrunst auf die Konsumenten von Fox News und Breitbart stürzen und sich diese dadurch in ihrem destruktiven Weltbild bestätigt sehen.
Wenn der erhoffte Job-Boom ausbleibt oder es die Trump-Administration anderweitig überzieht und/oder nur, wenn es den Demokraten gelingt, die „Corporate Democrats“ vom Schlage einer Hillary Clinton in die hinteren Reihen zu verfrachten, wird es 2020 möglich sein, dass Trump eine Wiederwahl verpasst.
Es wird aber nicht passieren, nur weil wir uns das wünschen und Trump für einen gefährlichen Irren halten. Remember 2004.
Titelfoto: Matt Johnson – CC2.0-BY-SA
]]>Eine realistische Beitrittsmöglichkeit der Türkei gibt es auf absehbare Zeit natürlich nicht. Die gegenwärtige dortige Regierung – die breit unterstützt zu werden und nicht vor der baldigen Ablöse zu stehen scheint – hat auch keine glaubwürdige Antwort, wie sich das ändern soll. Im Gegenteil, der Kurs geht in die andere Richtung. Die EU scheint darüber hinaus noch länger nicht aufnahmefähig und muss erst mit sich selbst wieder ins Reine kommen.
Dennoch gibt es Gründe, die Beitrittsgespräche nicht gänzlich abzubrechen. Diese sind vor allem strategischer und taktischer Natur: Etwa um die erwartbaren Reaktionen bei der Lösung der Zypern-Frage, dem Flüchtlingsdeal und auf anderen politischen Gebieten zu vermeiden. Und um eine Option in einer sehr langfristige Perspektive nicht auszuschließen. Das klingt vielleicht für manche zu diplomatisch, aber ist durchaus bedeutend.
Es ist verständlich, warum man den Beitritt nicht mehr für realistisch und deshalb die Verhandlungen darüber für eine unnötige Farce halten kann. Trotzdem wäre es bei nüchterner Betrachtung besser, die Gesprächsbereitschaft aufrecht zu erhalten. Wenn man dazu rein formal alle Optionen offen halten muss, dann soll es eben so sein.
Solange klar bleibt, dass sich in der Türkei über Jahrzehnte viel (und mehr als zu früheren Zeitpunkten) ändern müsste, damit das jemals Realität werden kann, soll die Option in weiter Ferne sichtbar bleiben. So ehrlich, dass das unwahrscheinlich scheint, darf und sollte man sein. Wenn der Türkei diese Perspektive nicht genügt, muss sie die Gespräche aber von ihrer Seite aus beenden. Die EU und Österreich würden durch eine Veränderung ihrer Haltung nichts gewinnen – außer vielleicht etwas politisches Kleingeld für einzelne Minister.
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]]>Das ist nur eine lose Auswahl. Ich freue mich auf ein paar weitere Vorschläge von eurer Seite.
]]>Angesichts des Mission Statement des IWK ist das durchaus überraschend, will dieses doch „die Demokratisierung von Wissen und Wissenschaft als Aufklärungsarbeit wider jeden Irrationalismus, Dogmatismus und Fundamentalismus im gesellschaftlichen Zusammenhang“. Werte, die mit Spencers heutigem Wirken schlicht nicht vereinbar sind, das sich unter anderem um einen völkischen Rassismus und ein durch „friedliche ethnische Säuberungen“ herbeigeführtes arisches Heimatland dreht.
Spencer erlangt aktuell auch hierzulande Bekanntheit, weil auf eine seiner Reden massenhaft Zuhörer per Hitlergruß reagierten – was weniger überrascht, wenn man weiß, dass Spencer bei dieser Rede „Heil Trump! Heil unserem Volk! Sieg Heil!“ (übersetzt von „Hail Trump! Hail our people! Hail victory!“) von der Bühne rief.
Die Veranstaltung wurde vom sogenannten National Policy Institute (NPI) veranstaltet, ein rechtsextremistischer Thinktank, den Spencer seit 2011 führt. Er gilt als wichtiger Vertreter des selbsternannten „Alt-Right“-Movements in den USA, von dem einige andere Vertreter nun mit Donald Trump ins Weiße Haus einziehen werden.
Spencer tauchte in den Publikationslisten des IWK und auf dessen Webseite namentlich nie auf. Auf Anfrage distanziert sich IWK-Institutsleiter Friedrich Stadler unmissverständlich von ihm. „Jedenfalls will und muss ich im Namen des Instituts meine Ablehnung und Zurückweisung von Spencers ‚identitären‘, rechtsradikalen und rassistischen politischen Positionen und Aktionen klar zum Ausdruck bringen“, sagt Stadler. Er könne sich an Spencer (der damals 27 und politisch noch unbekannt war) selbst nicht mehr erinnern.
Stadler weist die Darstellung in Spencers eigens erstelltem Lebenslauf zurück: „Er wurde also weder vom Institut Wiener Kreis eingeladen noch hat er einen Aufenthalt am Institut Wiener Kreis absolviert, wie fälschlicherweise im CV zu lesen ist“. Stadler überlegt noch, wie dagegen vorgegangen werden könnte. Spencer habe lediglich zwei Mal an einer je zweiwöchigen Summer School teilgenommen. Diesen Platz hätte er im Rahmen eines Austauschprogrammes mit der Duke University bekommen (an der Spencer nach eigenen Angaben 2005 sein Doktorat begann aber nicht zuende brachte). Aus seiner schließlich erfolgreichen Bewerbung wären seine politischen Ansichten aber nicht ersichtlich gewesen. Diese wären mit den Werten Stadlers und des Instituts „absolut unvereinbar gewesen“.
Während man sich am IWK glaubwürdig von Spencer distanziert, stellt sich die Frage, mit wem er damals in seiner Freizeit hierzulande verkehrte.
Es war jedenfalls nicht sein letztes Mal in Wien. 2014 wurde Spencer am Vorabend einer NPI-Veranstaltung in Budapest festgenommen, an der unter anderem österreichische und deutsche Identitäre teilnehmen und sprechen sollten. Spencer umging davor ein gegen ihn und die anderen Sprecher erlassenes Einreiseverbot kurzzeitig, indem er statt direkt nach Budapest erst nach Wien flog und von dort den Zug nach Ungarn nahm. Schlussendlich wurde er dort aber aufgegriffen. Seither gilt ein dreijähriges Einreiseverbot in den Schengen-Raum für ihn.
Would-be speakers, including Russian nationalist and Putin government adviser Aleksandr Dugin, influential Austrian Identitarian author Markus Willinger, and French anti-Islam activist Philippe Vardon were all informed they’d be arrested if they tried to attend. They stayed home. Publishing scion and NPI co-founder William Regnery flew to Budapest anyway, only to be sent back to London a day later. (Zitat: Foreign Policy)
Im FPÖ-nahen (im Impressum stand lange auch FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer, der auf der Seite auch als Autor auftrat) Blog „Unzensuriert“ berichtete ein (namenloser) Autor, an dieser als sehr positiv beschriebenen Veranstaltung teilgenommen zu haben. Spencers Fehlen fand Unzensuriert als „sicherlich bedauernswert“.
Das erst als große Konferenz angekündigte Event wurde im Vorfeld von der selbst schon weit rechts verortbaren Orban-Regierung verboten (Begründung: Es sei ein Versuch neonazistischer und faschistischer Betätigung). Unzensuriert kritisierte das als „stalinistischen Reflex“ (was angesichts des sonstigen Verhältnisses zu Menschenrechten der sonst von FPÖ und Unzensuriert gelobten ungarischen Regierung nicht gänzlich abwegig erscheint). Das Event fand etwas später trotzdem statt, allerdings im privateren Rahmen eines Wirtshauses.
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